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PraxisRatgeber Tausendfüßer Shurá Sigling (2010) Festeinband, 150 x 215 mm, 206 Seiten, 420 Farbphotos. 1. Auflage. Deutsch. Edition Chimaira, Frankfurt a. M. ISBN 978-3-89973-488-1. D 19,80 €.
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Schnurfüßer sind mittlerweile in der Terraristik fest etabliert und haben viele Freunde gefunden. Daher ist es eigentlich begrüßenswert, wenn endlich ein Buch mit ausführlichen Informationen zu diesem Thema erhältlich ist. Schade nur, daß dieses Buch den Ansprüchen nicht entspricht, denn der erste positive Eindruck verfliegt beim gründlicheren Lesen. Das Kapitel ,Systematik' enthält praktisch keine Angaben zur Systematik, sondern beschäftigt sich zu einem beachtlichen Teil mit den längst ausgestorbenen †Arthropleura, wobei es sich um eine Gattung und nicht, wie behauptet, um eine einzelne Spezies (= Art) handelt. Das Kapitel ,Bestimmung von Diplopoden' hätte die Überschrift wohl eher verdient, allerdings werden die wirklich hilfreichen Merkmale wie etwa die Unterschiede im Genitalbau der Männchen bei den Spirostreptida / Spirobolida verschwiegen. Die Tips zur Bestimmung gehen über die Ordnung kaum hinaus, was für die Praxis keineswegs hilfreich ist. Im Kapitel ,Körperbau' werden einige dubiose Aussagen getätigt: "Diplopoden haben eine vollkommen andere Sinneswahrnehmung als Insekten ...". Die folgenden Aussagen über spezielle ,Besonderheiten' treffen dann aber wohl auf fast alle Gliederfüßer zu. Die Geschlechtsbestimmung wird als "sehr schwierig" bezeichnet. Realistisch gibt es kaum eine andere Gruppe der Wirbellosen, in denen sie so einfach vorzunehmen ist. Nicht schlecht sind immerhin die schriftlichen Anmerkungen zur Paarung und Eiablage, ein Photo, auf dem ein Dendrostreptus-Weibchen aber seine Eier in einer Kunststoff-Schachtel ohne jedes Substrat ablegen mußte (Abb. 45), zwängt den Gedanken an eine nicht artgerechte Haltung in kleinen Verkaufsschachteln auf. Es bleibt zu hoffen, daß dieses keine Nachahmer findet! Der übermässige Gebrauch von Fachbegriffen, im Profi-Bereich verpönt, nährt allerdings Zweifel, inwiefern es sich um tatsächlich verstandenes Wissen handelt. Im Bereich Haltung werden durch die Abbildungen einfache Standardbecken hervorgehoben, deren Nachteile hinsichtlich der Feuchtigkeit etc. aber nicht einmal angerissen. Besser geeignete maßgeschneiderte andere Behältnisse werden nur kurz angesprochen. Im Bereich Wirbellosen kommt man aber auch heute noch um eigene Konstruktionen kaum herum! Die immer besser werdenden käuflichen Substrate werden pauschal als ,teuer' bezeichnet, ob die vorgeschlagene Alternative einen Stadtbewohner aber tatsächlich billiger kommt, sei dahingestellt. Bei der Einrichtung werden mehrere Pflanzen abgebildet, die offensichtlich direkt aus dem Handel stammen. Davor sollte der Halter eigentlich ausdrücklichst gewarnt werden, denn die heute meist verwendeten systemischen Präparate halten mehrere Monate - das empfohlene einfache Abspülen mit Substratwechsel reicht eben nicht aus! Die Pflanzen muß man auch nicht von einem extra empfohlenen Fachhandel beziehen, es reicht aus, sie zu waschen und mindestens vier Monate lang einfach stehen und gedeihen zu lassen. So kann man auf der eigenen Fensterbank die Einrichtung heranziehen. Die Kompetenz der bisher nur im Internet und nicht etwa in Fachartikeln in Erscheinung getretenen Autorin ist in mehrerer Hinsicht fraglich. Schreibt sie noch auf S. 50 "Südfrüchte sollte man wegen der darin enthaltenen Säuren auch nicht verfüttern", kommt sie kurz darauf in einem "Fachforum" zu völlig anderen Erkenntnissen, und wird dabei noch sehr beleidigend gegenüber einer anderen bekannten und sehr erfolgreichen Züchterin. Stattdessen gibt die Autorin äußerst dubiose Ratschläge. Karotten und andere Gemüse müssen gedünstet oder gekocht werden, und Schalen dürfen nicht verfüttert werden. Dabei dürfte es jedem Züchter bekannt sein, daß rohes Gemüse gerne gefressen wird (in der Natur erhalten die Tiere auch nichts anderes), und daß die Schale die meisten Mineralien und Nährstoffe enthält. Wir wollen uns hier aber nicht weiter mit allgemein bekannten Details aufhalten. Den Verzicht auf die Wasserschale sollte man sich gründlich überlegen, mittlerweile wird sie bei Kontrollen vielerorts völlig zu recht von Amtsveterinären vorgeschrieben - auch in Privathaushalten! Ein Profi wird es leicht zu verhindern wissen, daß Jungtiere dort ertrinken. Man sollte es sich überlegen, nah verwandte Arten wie empfohlen zusammen zu halten, denn über Hybridisierungen wurde bisher kaum etwas erforscht oder veröffentlich. Gegen die Vergesellschaftung mit Käfern, Schaben und Phasmiden spricht bei den weniger stark sprühenden Arten in ausreichend belüfteten Becken dagegen nichts, auch wenn die Autorin dies behauptet. Wie so oft werden allergene Reaktionen nur angedeutet und Tests im Vorfeld empfohlen. Daß man diese Probleme durch Handschuhe leicht vermeiden kann, wird leider nicht erwähnt. Das Kapitel ,Krankheiten' ist recht ausführlich, was eigentlich bei den dubiosen Angaben zur Haltung nicht weiter verwundert. Man sollte aber statt abenteuerlicher Behandlungen eher dazu übergehen, an den Haltungsumständen etwas zu ändern, denn viele der Symptome deuten auf eine Mangelernährung oder unangemessene Feuchtigkeit hin. Sehr ausführlich ist der Artenteil. Es fragt sich aber, wieviele der Angaben tatsächlich auf eigenen Beobachtungen basieren. Die meisten Photos scheinen auf immer demselben Stück Holz oder gar in Kunststoffschachteln gemacht worden zu sein, bei einer längerfristigen und erfolgreichen Haltung wären sicher auch abwechslungsreichere Photos möglich gewesen. Dafür spricht auch die hohe Zahl "bisher nicht nachgezüchteter" Arten. Verbreitungskarten sind beliebt, allerdings muß man ihren Nutzen hinterfragen, und erst recht ihre Genauigkeit. Grundsätzlich wird im Buch das ganze Land markiert, einschließlich aller Flachländer und Hochgebirge. Merkwürdig wird es, wenn eine Art zwar im gesamten Ghana und Nigeria, nicht aber in Togo und Benin vorkommen soll (S. 84). Wenn man sich jetzt noch Hinweise zur Beschaffung erhofft, wird man wieder enttäuscht. Zwar finden sich mehrere Händleradressen, erste Wahl sollten aber immer noch Börsen sein, auf denen man Nachzuchten direkt vom Züchter zusammen mit wertvollen Ratschlägen erhalten kann. Zusammenfassend muß immerhin anerkannt werden, daß es endlich ein Buch über diese interessante Tiergruppe gibt, die sicherlich auch in Zukunft noch weitere Freunde finden wird. Oliver Zompro |
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